Von: Dorthe Lind Thornton
Foto: Anders beier
Die Sonne stand tief, wie ein feuerweiẞer Ball über dem nebligen Horizont, weit drauẞen über dem Meer. Seenebel hüllte die Küste in einen grauweiẞen Schleier ein, der die Schatten, die sich am Wasserrand bewegten, einen willkommenen Schutz bot. Der Holzrumpf des Schiffes schrammte heiser gegen die Strandsteine, als die Besatzung es an Land segelte. Während sie das Schiff mit dem niedrigen Kiel weiter den Strand hinaufzogen, richtete er seinen Blick auf die Bäume am Strand und bemerkte zum ersten Mal, dass seine Arme schwer und müde waren. Seine Kutte fühlte sich feucht am Körper an, und die Blasen an seinen Händen brannten. An Bord hatte sich Krankheit verbreitet, also hatte er auf der Reise selbst das Ruder übernehmen müssen, aber jetzt war er an Land. Sein Name war Jon. Er war einfach gekleidet, barfuẞ und unbewaffnet. Um den Hals, unter der Kutte, hing eine Kette mit einem kleinen Kreuz aus Gold und Emaille. Die Kette hatte er von einem Glaubensbruder im Byzantinischen Reich bekommen. Das Kreuz fühlte sich warm an seiner Brust an und erinnerte ihn daran, weshalb er gekommen war.
So hätte es sich abspielen können, als einer alten Legende zufolge der irische Mönch, Jon, an der Küste Bornholms an Land ging. Er war von der christlichen Kirche in Irland geschickt worden, um diejenigen zu bekehren, die sich immer noch zur nordischen Mythologie bekannten. Die Bornholmer waren schon mit dem Christentum in Berührung gekommen, z.B. auf Wikingerfahrten oder Handelsreisen ins Ausland und zu den anderen Teilen von Dänemark, es hatte sich aber als besonders schwer erwiesen, sie vom Glauben an die nordischen Götter zu bekehren. In dem Buch `Das Land der Bornholmer – die Insel im Osten` von 1944, schreibt der Pfarrer P. Hjorth Lange aus Østerlars: Das Gerücht darüber, wie in Kutten gekleidete, anspruchslose Männer wie Jon ganz frei herumgingen und an den Tischen in den Schlössern von Königen und in den Gutshöfen der Adligen mit dabei saẞen, hatte wahrscheinlich die Insel vor ihm selbst erreicht, und als Jon, der Legende nach, begann seine aufrichtige Meinung über das Abschlachten von Pferden und Menschen bei Odins und Thors Opferfesten zu äuẞern, und über die Dinge, die bei Freys (Frey ist die nordische Fruchtbarkeitsgöttin) Opferfest der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche vor sich gingen, über die Lebensbedingungen der Knechte , über die Aussetzung von Kindern, über Trinkgelagen und vieles mehr, das bisher eine Selbstverständlichkeit gewesen war, dann steigerte sich der Widerwille schnell zu handfestem Widerstand, so dass er Zuflucht in einer nahezu unzugänglichen Höhle an der steilen Felsenküste nördlich von Hasle suchen musste`.
Von hier aus sollte Jon, der Legende nach, seine Verkündigungen fortgesetzt haben, und das von einer Kanzel aus, die die Natur in dem Felsen über der Höhle geformt hatte. Mit der Zeit wuchs die Schar der neugierigen Einheimischen, die sich am Strand versammelten und eine neue Glaubensrichtung in sich aufkeimen lieẞen. Man kann es sich fast vorstellen: die erfahrenen Bornholmer, die mit Skepsis hinhörten, und das Gemurmel, das bei den neuen Erkenntnissen unter den Zuhörern entstand. Ob die Legende wahr oder falsch ist, weiẞ niemand mit Sicherheit. Dennoch gibt es kaum ein Kind oder einen Erwachsenen auf Bornholm, der nicht mindestens einmal die vielen Stufen zur `Jons Kapelle` hinuntergegangen ist: zu einer Höhle – oder einem `Trockenofen`- in dem frei stehenden Felsen, zu Jons Kirche. Die Treppe beginnt am Rettungsweg entlang der Küste und führt durch eine Kluft mit senkrechten Wänden hinunter zum Strand. Sie endet ein Stück oberhalb der Kapelle, und auf dem letzten Stück nach unten muss man ziemlich gewandt sein, um auf die Felsenstücke voranzukommen. Südlich von Jons Kapelle befinden sich mehrere trockene Öfen: `Jons Sakristei`, `Jons Schlafzimmer` und Jons `Lebensmittelkeller`. Unter den vielen Kieselsteinen am Strand findet man auch eine Reihe Gletschermühlen, von denen die gröẞte als `Jons Taufbecken` bekannt ist.
Ein weiteres Relikt aus der Ausbreitung des Christentums auf der Insel im Mittelalter ist der Heilige Salomons Kapelle an der Nordspitze von Bornholm, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts erbaut wurde. Wenn man am Parkplatz von Hammerknuden beginnt und den grünen Markierungen entlang der Küste von Hammerknuden folgt, dann kommt man an der Ruine der kleinen Kapelle vorbei, die wunderschön gelegen ist, nur einen Steinwurf vom Wasser entfernt. Obwohl Salomons Kapelle von einer Steinmauer umgeben ist, scheint es um die Kirche keinen richtigen Friedhof im herkömmlichen Sinne gegeben zu haben, denn Spuren nach mittelalterlichen Gräben wurden in der Gegend nicht gefunden. Es mag ein bisschen seltsam erscheinen, dass man damals die Kapelle an einem relativ menschenleeren Ort angebracht hat und nicht in der Nähe von den Höfen und Siedlungen der Gegend. Im Laufe der Zeit hat man versucht, für den Standort der Kapelle eine Erklärung zu finden. Einige sind der Meinung, dass die Kapelle eben diesen Standort bekam, weil innerhalb des Deichs im Nordwesten eine alte, heilige Quelle, die Salomon-Quelle, entspringt. Seit Jahrhunderten werden dem Wasser aus heiligen Quellen wohltuende und heilende Eigenschaften zugeschrieben, und im frühen Mittelalter hatte die Quellenkult einen festen Halt in Dänemark. Andere sind der Meinung, dass die Erklärung für den Standort der Salamon Kapelle darin liegt, dass sie auf Befehl des Erzbischofs von Lund im Zusammenhang mit den groẞen Heringsmärkten errichtet wurde. Die Heringsmärkte fanden im Mittelalter an vielen Orten an den Küsten der Ostsee statt. Hierher kamen die vielen Fischer, um ihren Fang segnen zu lassen, den sie dann auf den Märkten an Händler aus unter anderem Deutschland verkauften, und vielleicht kamen sie auch, um dafür zu danken, dass sie heil und gesund aus der Seereise heimgekehrt waren.
Unabhängig davon, warum die Kapelle sich da befindet, wo sie sich eben befindet, die Stimmung an der Kapelle Salomons ist eine ganz besondere. Wenn man im Morgengrauen oder in der Abenddämmerung an der Kapelle steht, kann man sich gut vorstellen, wie das Leben rund um die Kapelle vor Jahrhunderten war. Und wenn man sich die Zeit und die Ruhe gönnt, auf das Wasser zu blicken, den Wind zu spüren und den Geräuschen der Natur zu lauschen, spürt man, dass dieser Ort etwas Besonderes ist. Auch heute noch.