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Zwischen Insel und Reich

Text: Pernille Koch Laursen Foto: Anders beier

 


Das Herbstlicht fällt blaugrau durch das groẞe Fenster. Drauẞen sitzt eine schwarz-weiẞe Katze auf einem Felsen und wartet darauf, dass sie reinkommen darf. In Kaori Juzus kleiner Schmuckwerkstatt gibt es drei verschiedene Arbeitstische mit einer Vielzahl unterschiedlicher Werkzeuge und Materialien. Mit einem geheimnisvollen Lächeln öffnet sie eine Schublade und offenbart die schönste Palette an Emalienfarben in allen Nuancen, von denen man sich überhaupt nicht satt sehen kann. Wir sitzen zusammen am Fenster zum Steingarten, und der Tee in den zarten, erdfarbigen Tassen ohne Henkel dampft heiẞ. Ich bin gekommen um Antwort auf eine Frage zu finden, die schon lange in mir geschwirrt hat, und Kaori hat groẞzügig zugestimmt, mir die ihre zu geben.

Die Frage entstand durch eine Begegnung mit der Kunst. Wenn man auf Bornholm ist, kommt man nicht umhin – und oft ohne es zu wissen – auf Kunst zu stoẞen, die von Japan, dem Reich der Sonne, inspiriert ist. Ein Reich, das sowohl kulturell als auch geographisch weit entfernt von Bornholm ist. Seit vielen Jahren besuchen, arbeiten, ausstellen und leben japanische Künstler auf der Insel für kürzere oder längere Zeit, einige für den Rest ihres Lebens. Die Frage ist warum. Was zieht diese Künstler an, und was bewegt sie dazu, den ganzen Weg von ihrer Heimat zu einer kleinen dänischen Felseninsel in der Ostsee zu reisen?

Kaoris Geschichte beginnt, als sie 2002, 24 Jahre alt, zu der Insel kommt. Sie war damals weder Künstlerin noch Kunststudentin, im Gegenteil, sie hatte eben ihr Spanischstudium an der Universität in Tokyo abgeschlossen. Mitten in der Jobsuche wurde ihr plötzlich klar, dass sie nicht die gleichen Job- und Karriereambitionen hatte wie ihre Kommilitonen. Sie teilte nicht ihre Träume von der Zukunft, und spürte, dass sie anders war und etwas Anderes wollte. Während eines Spanienaufenthalts hatte sie durch eine dänische Freundin gehört, dass man in Dänemark etwas besuchen könne, das sich „højskole“ nennt, und ihre Neugier war geweckt. Sie beschloss, es zu versuchen und sich zu bewerben. Das war in einer Zeit, ehe alles digital funktionierte, und deswegen schickte sie bis zu 20 Bewerbungsbriefe nach Dänemark. Nur 2 „højskoler“ schickten eine Antwort zurück nach Japan: Ry Højskole in der Nähe von Århus und Bornholms Højskole. Weil es ihr schien, dass Ry Højskole sich vor allem an Teenager richtete, fiel ihre Wahl auf Bornholm, und da Schmuck immer ihr groẞes Interesse war, meldete sie sich für den Schmuck Workshop an.

Als Kaori an Bornholms Højskole anfing, wollte es das Schicksal, dass ihr Lehrer der Goldschmied Peter Faber war, der seit einigen Jahren eine Leidenschaft genau für japanische Kunst und Kultur hatte. Die Begegnung mit ihm und der „højskole“ wurde für Kaori entscheidend. Hier fand sie eine offene Werkstatt, in der in einem in vielerlei Hinsicht freien Unterrichtsmilieu in Gemeinschaft gearbeitet wurde. Das war sie in Japan nicht gewohnt. Die Lehrer fungierten eher als Tutoren und inspirierende Mentoren. Auẞerdem legte Peter Faber groẞen Wert auf technisches Können und hatte einen offenen pädagogischen Zugang zu seinen Schülern, was der jungen Japanerin beeindruckte. Die Sprache und der Lebensstil waren jedoch so etwas wie ein Kulturschock für sie, die direkt aus der Groẞstadt Tokyo kam. Die inzwischen erwachsene Künstlerin erinnert sich an eine späte Radtour in stockfinsterer Nacht in die nächste Stadt, Aakirkeby, zusammen mit einigen der „højskole“-Freunde als ein so ungewohntes Erlebnis, dass die Erinnerung daran in Kaori geblieben ist.

Es war jedoch erst in der Begegnung mit dem Schmuckkünstler und Mitschüler Per Suntum, dass Kaori Juzu verstand, in welche Richtung sie künstlerisch gehen sollte. Sie liebte es, Schmuck zu machen, aber die Formensprache schien ihr zu eng und wenig inspirierend. Dann eines Tages zeigte ihr Per Suntum seine Schmuckkollektion. Er war schon ausgebildeter Goldschmied und war als Student an die „højskole“ von

Peter Faber eingeladen worden, zwar auf einer der anderen Linien. Per Suntums unkonventioneller Zugang zur Gestaltung in seiner Unika Schmucklinie war für Kaori ein Augenöffner. Alles war ja möglich! Von dieser Erkenntnis ab gab es kein Zurück mehr für sie, und eine neue Welt tat sich auf.

Kaori wurde bei Per als Goldschmiedin ausgebildet. Es ist eine 4-jährige Ausbildung, die teilweise während Schulaufenthalten mit groẞen technischen und formalen Anforderungen absolviert wird. Trotz der strengen Anforderungen und der sprachlichen Herausforderungen hat Kaori ihre Aufenthalte schätzen gelernt, denn, wie sie sagt, die Kenntnis der Materialien hat ihr in ihrem künstlerischen Ausdruck eine Freiheit gegeben, auf die sie weder verzichten kann noch will. Hier war es, dass sie ihr Material entdeckte. die Emaille, die zu ihrem künstlerischen Markenzeichen geworden ist. Und natürlich gehört auch Liebe zu dieser Geschichte. Liebe zur Insel, Liebe zu der Kunst und Liebe zu einem Mann: Per und Kaori sind jetzt verheiratet und leben zusammen in Tejn südlich von Allinge, wo beide arbeiten.

Ein anderer japanischer Künstler, der auf Bornholm sowohl Arbeitsraum als Liebe gefunden hat, ist der Bildhauer Jun-Ichi Inoue. Seine Werke sind überall auf der Insel zu finden, z.B. die tonnenschwere und imposante Sonnenwende Uhr aus Granit, die auf dem Store Torv in Rønne aufgestellt ist. 1987 kaufte er ein Haus auf dem Land südlich von Allinge und zog dorthin mit seiner Frau Marie Christensen, Tochter des bekannten dänischen Bildhauers Ole Christensen, die er in den 70er Jahren an der Kunstakademie in Kopenhagen kennenlernte.

Die beiden Erzählungen haben also mehrere Ähnlichkeiten, und eine davon führt durch das Herz von Bornholm, oder befindet sich mitten auf der Insel, Bornholms Højskole. Denn nicht nur Kaori hat im dänischen „højskole“-Gedanken und – Modell einen fruchtbaren Boden für ihre Kunst gefunden. Fast jedes Jahr finden mehrere japanische Künstler oder Studenten den Weg an die Schule, was nicht zuletzt mit den Lehrern vor Ort zusammenhängt. Sie sind Künstler, die ein groẞes Interesse für und Wissen über japanische Kunst und Kultur besitzen. Besonders hervorzuheben sind hier die Bornholmer Malerin, Grafikerin und Land-Art-Skulpteurin Lene Degett und die Keramikerin Anne Mette Hjortshøj, die beide eine enge und lebendige Beziehung zu einer Reihe japanischer „højskole“-Schüler und jetziger Künstler aufgebaut haben, die jährlich Ausstellungen und künstlerische Zusammenarbeit auf Bornholm haben. Und der Kontakt zu ihnen entstand über die „højskole“.

Es ist somit der grundtvigianische „højskole“-Gedanke, der die Fäden zwischen dem japanischen Inselreich und dem kleinen flachen Land mit den wogenden Feldern und den breiten Buchen zieht. Grundtvigs Idee von dem lebenden Wort, und dass Volksbildung für alle zugänglich sein sollte um den Boden für eine demokratische Gesellschaft, auf christlichen Werten aufbauend, war schlieẞlich der Anfang für die vielseitige „højskole“, die wir heute haben. Die freie Gemeinschaft an der „højskole“ sowie die unhierarchische Arbeitsform in den Werkstätten ist ein Augenöffner und setzt eine kreative Energie bei den Kunststudenten frei, die sie aus Japan nicht gewohnt sind. Es zieht sowohl an als schafft fast eine Abhängigkeit. Vielleicht ist es so, dass, hat man nur einmal einen Raum erlebt, der Energie und Inspiration freisetzt, man als Künstler ganz natürlich dorthin zurück möchte? Zumindest scheint das Kaoris Erlebnis und Erfahrung zu sein.

Wie wir dort im Licht sitzen und auf die goldenen Herbstblätter hinausblicken, kann ich nicht umhin, Kaori zu fragen, ob nicht auch die Bornholmer Natur auf ihre Kunst einwirkt? Auf der Fensterbank befinden sich eine Menge Steine in verschiedenen Farbtönen, Treibholz und andere Dinge, die in der Natur und besonders am Strand um Sosebugten gesammelt wurden, wo das Paar gewohnt hat. Ich suche nach einer Ähnlichkeit mit den fast gezackten und eckigen Formen, die in Kaori Juzus Broschen wiederkehren. – „Die Farben“, sagt sie „aber ich arbeite meistens intuitiv, es ist also eigentlich erst nachher, dass ich sehen kann, dass es einen

Faden zwischen den Farben in einigen meiner Werke und dem Licht der Jahreszeit gibt.“ – „Und was mit Japan, hast du dich von dort inspirieren lassen?“, frage ich. – „Hauptsächlich im Spirituellen und in der Tradition, z.B. durch Zahlen. In Japan ist 108 eine magische Zahl mit groẞer spiritueller Kraft. Während der Corona-Zeit habe ich an einem Werk, das aus 108 kleinen, individuellen Unikaten besteht, gearbeitet. Es hatte eine ganz besondere positive Einwirkung auf mich, in dieser seltsamen Zeit damit zu arbeiten“, sagt Kaori. Ihre tiefe und etwas heisere Stimme verklingt, und ihr Blick fällt auf die Wand, wo das Werk hängt. Diese Arbeit ist nun anderen aufgefallen und ist für den renommierten Loewe Foundation Craftprize nominiert worden, der im Frühjahr 2023 in New York ausgestellt wird

An den anderen Wänden hängen Werke von zwei ihrer guten japanischen Kollegen, die sie über die „højskole“ getroffen hat, als sie dort selber unterrichtete. Nachdem Kaori ihre Ausbildung als Goldschmiedin beendet hat, ist sie nämlich selbst eingeladen worden im Zusammenhang mit ihren Ausstellungen an der „højskole“ und bei Workshops in anderen Teilen der Welt zu unterrichten. Und sie liebt den Kontakt, den man als Lehrer mit seinen Schülern hat, die sie sowohl inspirierend als auch bereichernd findet. In der Weise endet der Ring, und plötzlich gibt die Verbindung zwischen Japan und Bornholm viel mehr Sinn. Denn es geht ja im Grunde genommen um Menschen und Begegnungen und darum, die Möglichkeit dafür zu schaffen, dass diese Begegnungen sich über Raum und Zeit hinweg entwickeln können.

Vor mir auf dem Tisch liegen schöne, emaillierte Broschen und warten darauf irgendwo auf der Welt, sei es in Paris, in Tokyo oder New York, der Öffentlichkeit gezeigt zu werden. Besonders eine fällt mir auf und erinnert mich in einer komischen Weise an den Blasentang, der knapp unterhalb der Wasserkante an den Felsen fest sitzt, dort wo ich als Kind gebadet habe. Ich wünsche brennend, das Kunstwerk mit nach Hause zu nehmen und kann meine Begeisterung dafür nicht zurückhalten. Kaori nimmt mein Lob stillschweigend entgegen und erklärt bescheiden, dass es noch nicht zum Verkauf steht. Vorerst muss der Galerist die Brosche sehen. Ich bedanke mich für den Tee und dafür, dass sie ihre Geschichte mit mir teilen möchte. Ich habe das Gefühl, dass ich eine Antwort auf meine Frage gefunden habe, und als ich mich von Kaori Juzu verabschiede und hinausgehe, läuft die Katze durch die offene Tür in die Wärme.


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