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Die verborgenen Geschichten von Rønne

 


Text: Mads Westermann Foto:Anders Beier

Ein russischer Bär, ein gelbes Gespenst, das bei Vollmond durch die Straßen von Rønne wandert, und ein gut versteckter Gedenkstein für ein politisches Attentat, das sowohl für Bornholm als auch für den Rest Dänemarks von großer Bedeutung war. All das ist Teil von Rønnes Geschichte und Folklore. Es sind einige der Dinge, die man erleben kann, wenn man durch Rønne spaziert.

Kurz nach dem Mittagessen, am 7. Mai 1945, konnte man auf dem Kirkepladsen – am Fuße des Turms der St.-Nicolai-Kirche – sehen, wie Formationen sowjetischer Bomber tief über den Hafen und die Stadt flogen. Mit heulenden Motoren, in Wolken aus Feuer, Rauch und Trümmern, warfen die russischen Flugzeuge ihre tödliche Last aus Brand- und Sprengbomben ab. Die sowjetischen Bomben trafen nicht nur militärische Ziele. Sie verwandelten auch zufällige Häuser in der Altstadt von Rønne in rauchende Trümmerhaufen.

Mehr als 90 Prozent der Häuser in Rønne wurden beschädigt, und 212 Häuser wurden völlig zerstört. Große Teile der Damgade wurden zu Schutthaufen. Mehrere Einwohner von Rønne kamen ums Leben, und viele weitere wurden verletzt.

Bombardierung, Befreiung und Wiederaufbau

Nach dem Bombenangriff schuf der renommierte Keramiker Lars Thirslund drei Reliefs, die die Gegenwart an das traumatische Kapitel der Geschichte Rønnes erinnern sollen. Eines davon ist über der Eingangstür des kleinen Hauses in Kirkepladsen 14 zu sehen. Es wurde vollständig zerstört, aber wieder aufgebaut und mit einem von Thirslunds Reliefs geschmückt. Es zeigt „Die Bombardierung und Evakuierung von Rønne“.

Gleich um die Ecke, in Kirkestræde 4, befindet sich ein weiteres Relief von Thirslund: „Die Befreiung“, das die Feier zeigt, als die russischen Besatzungstruppen Bornholm am 5. April 1946 verließen.

Das letzte der Reliefs von Lars Thirslund befindet sich am gegenüberliegenden Ende der Stadt. Über der Eingangstür zu Nørregade 39 hängt „Der Wiederaufbau“, das die große Anstrengung beim Wiederaufbau Rønnes nach den Zerstörungen darstellt.

Der Bär auf der Säule

In der Møllegade, direkt gegenüber der Hausnummer 12, steht der russische Bär auf einer Säule mit der Inschrift: „Hier hielt der russische Bär an.“ Der Bär wurde vom Bildschnitzer Christian Koefoed geschaffen und aufgestellt – aus Dankbarkeit darüber, dass sein eigenes Haus beim Bombenangriff nicht zerstört wurde. Die Nachbarhäuser wurden zerstört, aber Christian Koefoeds Haus blieb nahezu unversehrt.

Zusammen mit dem Bären auf der Säule schuf Christian Koefoed ein Relief, das die Bombardierung darstellt. Es ist über dem Hauseingang zu sehen, direkt rechts vom Bären.

Im Jahr 1955, zum zehnjährigen Jubiläum der russischen „Befreiung“ Bornholms, besuchten sowjetische Journalisten die Insel. Sie missverstanden Koefoeds Gestaltung als antirussische Provokation – und lösten damit eine kurzzeitige diplomatische Krise zwischen Dänemark und der Sowjetunion aus.

Selbst in neuerer Zeit hatte Koefoeds Bär auf der Säule eine große politische Bedeutung. In einem Interview mit der Bornholms Tidende berichtete die heutige Hausbesitzerin, dass sie im Herbst 1989 die Augen des Bären blau anmalte – und nur wenige Tage später fiel die Berliner Mauer.

Das Attentat in der Storegade

Ein weiteres Denkmal an ein dramatisches Kapitel der Bornholmer Geschichte findet man in der Storegade – genau dort, wo Storegade und Rådhusstræde zusammenlaufen. Mitten auf der Straße gibt es eine kleine Vertiefung, in der einige Kopfsteinpflaster durch den Asphalt hervorschauen. Auf einem der Steine steht 1658 geschrieben. Damals war Bornholm Teil Schwedens und wurde vom verhassten schwedischen Kommandanten Johan Printzensköld regiert.

Am 8. Dezember 1658 war Printzensköld von Hammershus nach Rønne geritten, um sich mit dem Bürgermeister der Stadt, Claus Kam, zu treffen. Eine Gruppe bornholmer Freiheitskämpfer unter der Führung des Kaufmanns Villum Clausen stürmte das Treffen. Nach einer kurzen, hitzigen Konfrontation zogen die Freiheitskämpfer Printzensköld hinaus auf die Storegade – genau an die Stelle, wo heute der Stein durch den Asphalt ragt – und dort erschoss Villum Clausen den Kommandanten.

Während das Blut des Kommandanten über das Pflaster floss und er seinen letzten Atemzug tat, richteten auch Clausens Mitstreiter Jens Pedersen Kofoed und Niels Gumløse ihre Waffen auf den Kommandanten und schossen – um die Verantwortung für die Tat mit Villum Clausen zu teilen.

Das Attentat auf Printzensköld war der Auslöser für einen bornholmer Aufstand gegen die schwedischen Besatzer. Nur drei Wochen später war der letzte schwedische Soldat von der Insel vertrieben, und Bornholm gehörte wieder zu Dänemark.

Das gelbe Gespenst

Das gelbe Gespenst, das bei Vollmond durch die Straßen von Rønne wandert, findet man an der Ecke Bagergade und Vimmelskaftet. Doch man muss genau hinschauen, um es zu sehen – denn bei Tageslicht ist nur das Gesicht des Gespensts sichtbar, verborgen hinter einem wunderschönen bornholmschen Feigenbaum.

Der Überlieferung nach handelt es sich um einen jungen Mann, der in der Mauer gefangen ist. Er ist dazu verdammt, dort zu verweilen, bis ein Vorübergehender anhält und eine Frucht vom Feigenbaum isst. Dann wird er in der nächsten Vollmondnacht befreit und kann frei durch die alten, gepflasterten Gassen von Rønne wandern. Doch sobald die ersten Sonnenstrahlen den Turm der Sct. Nicolai Kirche berühren, muss er zurück in die Mauer und dort bleiben – bis erneut ein Besucher in eine der süßen, saftigen Feigen beißt.

Wer er ist, warum er in der Mauer gefangen ist und was er bei seinem seltenen nächtlichen Freigang tut – das verliert sich im Nebel der Geschichte.


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