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Bornholm – Europas meist übersehene Wanderregion

Text: Mads westermann Foto: anders beier

 


Bornholms Natur ist Skandinavien in konzentrierter Form. Ein Maggi-Würfel der Landschaften, in dem man an einem einzigen Tag von schroffen Klippen zu weichen Sandstränden, von dunklen Wäldern zu offenen Wiesen wandern kann.

Von der zerklüfteten, windgepeitschten Granitküste Hammerknudens über die dichten, dunklen Douglasienplantagen des Almindingen bis hin zum feinkörnigen, weißen, puderweichen Sand von Dueodde.

Bornholm ist auch ein lebendiges Freilichtmuseum, in dem man Landschaften und Architektur erleben kann, die im übrigen Dänemark weitgehend verschwunden sind. Zahlreiche alte Burgruinen, Hochheidegebiete, Spalttäler, Felsritzungen und Räuchereien – noch heute fast in jedem Küstenort zu finden.

Und doch ist Bornholm trotz all dieser Qualitäten immer noch eine der am meisten übersehenen Wanderdestinationen Europas.

Tosendes Meer, kühler Wald und historische Steine

Mit über 120 Kilometern Küstenpfad, der sich von den Granitformationen des Hammerknuden im Norden bis zu den weichen Sandstränden von Dueodde im Süden schlängelt, sowie einem 67 Kilometer langen Wanderweg – dem Højlyngsstien – quer durch die Inselmitte, durch windgepeitschte Heideflächen und urwaldartige Schluchten, ist Bornholm ein wahres Eldorado für Wanderer.

Entlang der Wanderwege gibt es in regelmäßigen Abständen Zelt- und Shelterplätze, die es ermöglichen, günstig zu übernachten und die Natur rund um die Uhr hautnah zu erleben. Wer es komfortabler mag, findet entlang der Küste zahlreiche Unterkünfte mit richtigen Betten und festen Dächern.

Ganz gleich, für welche Route man sich entscheidet – es warten reichlich Eindrücke für die Sinne. Auf dem Küstenpfad ist es das Rauschen des Meeres gegen die Felsen und der Duft von Räucherfisch, die das sinnliche Fundament bilden. Auf dem Højlyngsstien ist es die kühle, unbewegte Waldluft im Schatten des Almindingen und der würzige Geruch von Wacholder und Rauschbeere auf der Heide, die das Erlebnis prägen.

Unterwegs stößt man überall auf Spuren der Vorzeit – eine Burgruine hier, eine Felsritzung dort, ein Steinhügel, der davon zeugt, dass Menschen diese Landschaft seit Urzeiten durchwandern.

Felsen, Küste und knirschender Sand

Es liegt etwas Filmisches darin, einer Küstenlinie zu folgen. Etwas, das an den Film Wild erinnert, in dem Reese Witherspoon von Mexiko nach Kanada entlang des Pazifiks wandert, um sich nach einer Reihe persönlicher Krisen selbst zu heilen.

Zugegeben, Bornholms Klippen können kaum mit der pazifischen Küste Kaliforniens konkurrieren – und doch herrscht hier dieselbe langgezogene Choreografie, bei der jeder Schritt mit dem Rauschen des Meeres und dem Spiel des Windes im Grün verschmilzt. Eine Dramaturgie der Natur, die Raum für Reflexion und ein intensives Gefühl von Freiheit bietet.

Der Küstenpfad – ein 120 Kilometer langer Rundweg um Bornholm – ist eine der vielseitigsten Wanderrouten Dänemarks. Eine Reise durch Zeit und Geologie: von rohem Granit im Norden über weite Sandstrände im Süden bis zu hohen Sandsteinklippen im Westen.

Obwohl der Weg für die meisten Wanderer mit guter Grundkondition machbar ist, stellt er durchaus Anforderungen an Oberschenkel und Schuhwerk – vor allem auf den unebeneren Abschnitten, wo der Untergrund ständig wechselt: von glatten, abgenutzten Felsplatten zu kleinen, losen Steinen, die sich unter den Füßen wie Kugellager verhalten – eine kleine Unachtsamkeit genügt, um die Schwerkraft auf sehr direkte Weise zu erleben.

Doch wer die Strapazen überwindet, wird belohnt – mit Panoramaausblicken über die Ostsee, wo Licht und Meer in einem sich ständig wandelnden Farbenspiel aufeinandertreffen. Das Sonnenlicht, das sich in Felsen und Wasser spiegelt, zeigt deutlich, woher Oluf Høst und die anderen Maler der Bornholmerschule ihre Motive und Inspiration nahmen.

Auch wenn man keine Sherpa-Ausbildung oder Kletterausrüstung braucht, erfordert der Weg eine gute Planung, wenn man ihn unversehrt umrunden will.

Deutlich spürbar ist der Kontrast zwischen dem leicht begehbaren Abschnitt zwischen Nexø und Boderne – wo der Sand sanft unter den Füßen knirscht – und den anspruchsvolleren Klippenpfaden an Nordost- und Nordküste, wo jeder Schritt volle Konzentration auf die Fußplatzierung verlangt.

Deshalb lohnt es sich, die Etappen gut zu planen – kurze und lange Abschnitte abzuwechseln, Ruhetage einzuplanen und unterwegs Pausen zu machen, um Natur und Küstenorte zu genießen.
Für eine komplette Umrundung sollte man fünf bis sechs Tage einplanen.

Moos, Moore und Sagengestalten

Für alle, die lieber im Landesinneren wandern, fernab von Wind und Wellen, bietet der Højlyngsstien eine ebenso lohnende Alternative. Dieser gut 67 Kilometer lange Pfad durchquert in einem Zickzackkurs das Herz der Insel.

Hier wandert man durch Landschaften, die direkt aus Tolkiens Der Hobbit oder Astrid Lindgrens poetischen und sinnlichen Beschreibungen der Wälder rund um Mattisburg stammen könnten – wo Ronja Räubertochter Zuflucht vor den streitlustigen Erwachsenen sucht.

Zwar trifft man hier weder auf graue Zwerge noch auf Waldwichtel, doch die Unterirdischen werden dich unterwegs mit Sicherheit beobachten.

Folgt man dem Højlyngsstien, durchquert man enge Felsschluchten, fruchtbare Heideflächen, uralte Wälder mit moosbewachsenen Felsblöcken sowie schmale Holzstege, die durch Moore und über Seen führen. Von der Ravnedal im Norden über den Bisonskov im Zentrum der Insel – wo man mit etwas Glück europäische Wisente beim Wiederkäuen beobachten kann – bis nach Dybedal und zur Hexentür im Süden, bevor man bei Aarsdale wieder auf das Meer trifft und dem Küstenpfad nach Süden Richtung Dueodde folgt.

Wenn der Küstenpfad der laute kleine Bruder mit Wellen und Gischt ist, dann ist der Højlyngsstien die nachdenkliche große Schwester – voller Stille, dem Geruch von Verfall in den Mooren, dem süßlich-staubigen Aroma von Heideblüten und Kräutern, und dem leisen Knirschen gefallener Zapfen unter den Wanderstiefeln.

Wie entlang des Küstenpfads findet man auch auf dem Højlyngsstien Zelt- und Shelterplätze – wie kleine Oasen für moderne Nomaden. Wer jedoch in einem echten Bett schlafen möchte, muss auf private Unterkünfte zurückgreifen.

Während beim Küstenpfad das Gelände die Planung bestimmt, ist es beim Højlyngsstien die Verpflegung. Zwischen Allinge und Aarsdale gibt es keine Einkaufsmöglichkeiten – alles, was man braucht, muss also im Rucksack mitgeführt werden.

Einige Wanderer legen die Strecke in nur einem Tag zurück – doch wer es entspannt angehen möchte, sollte lieber drei Wandertage mit einem Pausentag einplanen, um Almindingen oder die Paradisbakkerne zu erkunden.

Übersehene und erreichbare Perlen

Wer nicht gern unter freiem Himmel übernachtet oder keine Zeit oder Kondition für mehrtägige Wanderungen hat, findet zum Glück leicht zugängliche Alternativen, die dennoch außergewöhnliche Natur- und Wandererlebnisse bieten.

Die meisten Touristen sehen den Hammerknuden nur von der Bank am Eiskiosk im Hafen von Sandvig aus, während sie überlegen, ob sie noch eine altmodische Eiswaffel mit Schlagsahne und Marmelade schaffen.

Doch oberhalb des Hafens, auf dem eigentlichen Granitmassiv, entfaltet sich ein Netz schmaler Pfade, die sich quer über den großen Felskopf ziehen. Dramatisch, windgepeitscht und bei grauem Wetter fast etwas düster, schlängeln sich die Wege durch Heidekraut und Zwergkiefern. Unterwegs bieten sich gelegentlich Ausblicke auf das Meer, das ständig zwischen bleigrau und türkis schimmert. Mit etwas Glück erspäht man einen Raben oder Wanderfalken, der über den Felsen nach einer unglücklichen Maus oder Eidechse Ausschau hält.

Weiter südlich, in den Paradisbakkerne, bekommt man kleine Kostproben von Tolkiens Fantasie und Astrid Lindgrens Naturbeschreibungen. Die Pfade winden sich zwischen Findlingen, so groß wie Einfamilienhäuser, und tragen Namen wie Grydesø, Midterpilt und Slingestenen – als stammten sie aus einer alten Volksweise. Hier und da stößt man auf alte Steinmauern – Zeugnisse aus der Zeit, bevor hier Wald gepflanzt wurde, als Menschen mühsam versuchten, vom Ackerbau zu leben.

So wild ist es hier, dass man fast ein schlechtes Gewissen hat, keine Brotkrumen zu streuen, um den Weg zurück zur Zivilisation zu finden.

Während Hammerknuden und Paradisbakkerne hügelig und wild sind, ist das Ekkodalen mit dem umliegenden Wald deutlich besser zugänglich.

Vom Parkplatz am Ekkodalshuset führt ein breiter Weg und eine Holzbohlenbrücke durch die Spaltschlucht, in der niemand müde wird, die Felsen zu fragen, was Møller trinkt.

Der Weg endet beim Jægerhuset, wo man seine mitgebrachte Brotzeit genießen kann, bevor man auf einem Schotterweg durch den Wald zum Parkplatz zurückkehrt.

Die Strecke ist geeignet für Kinderwagen – und Teile des Weges sind auch mit Gehhilfe oder Rollator möglich.

Wer abenteuerlustig ist, kann das Ekkodalen überqueren und die Stufen zur vergessenen Burgruine Gamleborg erklimmen, dann weiter zur nahegelegenen Lilleborg wandern und über den Aussichtspunkt Rytterknægten zum Ausgangspunkt zurückkehren.

Diese kürzeren Touren sind nicht so gut ausgeschildert wie der Küstenpfad oder der Højlyngsstien – deshalb sollte man eine gute Karte mitnehmen. Alternativ tut es auch eine ordentliche Portion Entdeckergeist – denn man kann sich leicht auf einen Umweg verirren.

Bornholm macht selbst legendären Wanderrouten Konkurrenz

Zugegeben, Bornholm ist nicht der Jakobsweg mit Pilgermessen und Heiligenverehrung. Doch wenn man die sakrale Ebene für einen Moment beiseitelässt und stattdessen betrachtet, was eine Wanderdestination wirklich auszeichnet, dann kann Bornholm durchaus mit dem Camino und anderen berühmten Routen mithalten.

Laut dem renommierten deutschen Outdoor-Magazin TREKKING WANDERN & OUTDOOR, das wie kaum ein anderes den Puls der europäischen Wanderwelt fühlt, bietet Bornholm etwas, das in der modernen Outdoor-Szene selten geworden ist: ein erschwingliches Abenteuerpaket, in dem dramatische Natur und zivilisierter Komfort Hand in Hand gehen.

Während Islands Laugavegur seine Besucher durch eine öde Landschaft aus erstarrter Lava schickt, die nach Schwefel und Weltuntergang riecht, bietet Bornholm eine verfeinerte Variante des Naturerlebnisses – Felsen, Wälder, Strände – und am Ende ein kühles Svaneke-Pils und ein Stück Sol over Gudhjem.


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