Text: Mads westermann Foto: anders beier
Als neue Direktorin von Folkemødet steht Signe Saabye Ottosen nun an der Spitze des größten Demokratie-Festivals Dänemarks – einer Veranstaltung mit zahllosen Interessengruppen, vielen Meinungen und erheblichen logistischen Herausforderungen, nicht zuletzt aufgrund des Standorts auf Bornholm. Trotzdem empfindet sie die Position als ihren Traumjob – denn sie brennt für den demokratischen Dialog.
„Je weniger man mich sieht, desto erfolgreicher war ich“, sagt Signe Saabye Ottosen mit einem Lächeln.
Am 1. Januar trat sie die Position als vierte Direktorin des Folkemødet an – seit das Festival 2016 aus dem Bürgermeistersekretariat der Bornholmer Regionalgemeinde herausgelöst und zu einem eigenständigen Verein wurde.
Als frisch ernannte Leiterin von Dänemarks größtem Demokratie-Festival mag es paradox klingen, Unsichtbarkeit als Erfolgsfaktor zu definieren. Doch für Signe Saabye Ottosen ist das ein zentraler Gedanke – keine falsche Bescheidenheit, keine stilisierte Pose. Es ist eine Überzeugung.
Sie misst ihren Erfolg daran, wie wenig Raum sie selbst einnimmt. Wenn sie im Hintergrund bleibt, hat sie ihre Aufgabe erfüllt.
„Die Teilnehmenden, Organisator:innen und Gäste – nicht die Direktorin – sollen im Mittelpunkt des Folkemødet stehen“, betont sie.
Ihre Sprache hat einen eigenen Rhythmus – klar und präzise, aber nie schroff. Eine ausgewogene Mischung aus Leidenschaft und Nachdenklichkeit.
Wenn sie über das Folkemødet spricht und über den demokratischen Dialog, tut sie das mit Ernsthaftigkeit – aber ohne Schwere.
„Demokratie ist nichts, das man besitzt – es ist etwas, das man tut“, sagt sie und lehnt sich dabei leicht nach vorne.
„Wenn wir glauben, dass wir das Ziel erreicht haben, sind wir bereits auf dem Rückweg.“
Ihr Demokratieverständnis ist nicht akademisch-theoretisch, sondern zutiefst praktisch.
Sie hat keine dogmatische Sichtweise auf Demokratie – aber eine feste Überzeugung: dass der Dialog unverzichtbar ist. Das Gespräch, das Zuhören, das gemeinsame Neubestätigen.
Sie erzählt, dass es bei ihr früh begann – mit politischen Diskussionen am Esstisch, in einer Familie ohne Parteibuch, aber mit starkem gesellschaftlichem Engagement.
Konkret wurde es in Südafrika, wo sie als junge Politologiestudentin die Truth and Reconciliation Commission miterlebte – ein Versuch, die Wunden der Apartheid durch Verstehen und Vergebung zu heilen, nicht durch Verurteilung.
„Es war überwältigend zu sehen, wie Menschen sich gemeinsam mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzten. Das hat mir gezeigt, dass Demokratie ein Prozess ist – kein Zustand.“
Später in Indien betrat sie eine ganz andere Realität. Der aufkommende Hindu-Nationalismus stellte die demokratischen Grundwerte und Institutionen des Landes infrage.
Auch dort war es der Dialog – oder sein Fehlen – der ihr als stärkstes Zeugnis in Erinnerung blieb.
Vielleicht ist das der Grund, warum Signe Saabye Ottosen darauf besteht, dass Folkemødet nicht nur ein Festival ist – sondern eine ständige Erneuerung des demokratischen Dialogs.
„Wir können nicht einfach Jahr für Jahr dasselbe Rezept wiederholen. Wir müssen ständig hinterfragen, wer Raum bekommt und wer gehört wird.“
Initiativen wie Wildcards und Ung Agenda sind kein Zufall. Sie sind bewusste Versuche, das Gespräch zu erweitern und Strukturen herauszufordern, die sich sonst auf ihrer Selbstverständlichkeit ausruhen könnten.
Sie möchte, dass Folkemødet eine offene Plattform bleibt, aber gleichzeitig ein gut organisiertes Zentrum für den demokratischen Austausch ist.
„Wir haben die Verantwortung sicherzustellen, dass jede Stimme Gehör findet – und dass das Gespräch nicht von denen übertönt wird, die am lautesten schreien. Es ist eine Balance zwischen freier Debatte und strukturierter Rahmensetzung.“
Als neue Direktorin ist für Signe Saabye Ottosen jeder Arbeitstag noch voller neuer Erkenntnisse und Eindrücke.
Sie muss sowohl das Team als auch alle Partner von Folkemødet kennenlernen – und gleichzeitig jede Menge praktische Erfahrung sammeln.
Als Teetrinkerin hat sie zum Beispiel noch immer ihre Mühe mit der Kaffeemaschine, wenn Journalisten bewirtet werden sollen.
Man sagt, nach 100 Tagen hätten sich die meisten in einem neuen Job eingelebt – das wird wohl auch für Signe Saabye Ottosen gelten. Trotzdem möchte sie sich nicht als voll angekommen bezeichnen.
„Man gehört nicht wirklich zu Folkemødet, bevor man nicht einmal dabei war, es mitzuorganisieren und durchzuführen“, sagt sie lachend.
Obwohl sie fast jedes Jahr als Besucherin dabei war, wird 2025 ihr erstes Jahr sein, in dem sie hinter den Kulissen steht – als eine derjenigen, die den Betrieb am Laufen halten.
„Ich freue mich darauf, es von innen zu erleben“, sagt sie.
Ihr Vorgänger hat ihr einen guten Rat mit auf den Weg gegeben:
„Du wirst 20.000 Schritte am Tag laufen – also denk an gutes Schuhwerk.“
Die Schuhe stehen bereit, und auch wenn der Juni hektisch wird, blickt Signe Saabye Ottosen mit gespannter Vorfreude auf das, was kommt.
Sie beschreibt Folkemødet als ein Demokratie-Festival, das es schafft, alle Bürger:innen auf Augenhöhe zu vereinen. Etwas, das wahrscheinlich nur möglich ist, weil die dänische Kultur von geringer Machtdistanz und starkem Gleichheitsgedanken geprägt ist.
„Genau das macht es so besonders“, sagt sie.
„Man steht in der Kaffeeschlange und merkt plötzlich, dass man mit einem Minister oder Bürgermeister diskutiert – das gibt es kaum anderswo.“
Dass das Folkemødet in Allinge stattfindet und nicht in einem Konferenzzentrum in Kopenhagen, ist für Signe Saabye Ottosen ein entscheidender Qualitätsfaktor. Die lokale Verankerung ist für sie nicht nur eine praktische Gegebenheit – sie ist die Seele des Festivals.
„Ich träume von einer noch stärkeren bornholmschen Gastgeberschaft“, sagt sie und verweist auf Kooperationen mit lokalen Vereinen, Unternehmen und Schulen.
Ein konkretes Beispiel für dieses Engagement ist die Kongeskærskolen in Allinge, die sich mitten im Zentrum des Geschehens befindet.
Wenn das Folkemødet startet, verlässt die Schule ihre Klassenzimmer und verlegt den Unterricht mitten ins bunte Treiben des Festivals. Die Schüler:innen nehmen an der „Folkemøde-Folkeskolen“ teil, wo sie Demokratie nicht nur lernen, sondern leben.
Gleichzeitig öffnet die Schule ihre Türen für freiwillige Helfer:innen, die eine Übernachtungsmöglichkeit benötigen.
„Das ist ein herausragendes Beispiel“, sagt sie begeistert.
„Ein Beleg für die starke lokale Identifikation – und davon wünsche ich mir noch viel mehr.“
Für Signe Saabye Ottosen ist es wichtig, dass die Bornholmer:innen nicht nur Gastgeber:innen sind, sondern auch Teilnehmende.
„Ich hoffe, noch mehr Bornholmer:innen aktiv in den Debatten zu sehen – sie sollen mitgestalten“, sagt sie.
Sie hat bereits viele engagierte Menschen und Unternehmen auf der Insel getroffen, die sich einbringen möchten.
„Wir haben so viele fantastische Kräfte hier auf Bornholm – wir müssen nur den richtigen Weg finden, sie zu aktivieren.“
Signe Saabye Ottosen hat einen Hintergrund in Führung und strategischer Entwicklung – und jahrelang daran gearbeitet, Brücken zwischen lokalen und nationalen Akteuren zu bauen.
Sie verspürt kein Bedürfnis, auf der Bühne zu stehen. Im Gegenteil: Ihre wichtigste Aufgabe sieht sie darin, anderen den Raum zu geben.
„Meine Rolle ist es, dafür zu sorgen, dass alles funktioniert – nicht, im Mittelpunkt zu stehen“, sagt sie.
Wenn das Folkemødet reibungslos läuft, die Gäste sich willkommen fühlen und die Debatten lebendig sind – dann hat sie ihre Aufgabe erfüllt.
Auch wenn sie noch neu im Amt ist, hat Signe Saabye Ottosen bereits eine klare Vision für die Zukunft des Folkemødet.
Sie möchte, dass es ein Festival bleibt, das die demokratische Diskussion ins Zentrum stellt – und sich gleichzeitig mit der Zeit weiterentwickelt.
„Wie machen wir das Folkemødet noch relevanter für zukünftige Generationen?“, fragt sie.
„Wie erneuern wir uns, ohne das zu verlieren, was uns einzigartig macht?“
Ein Bereich, der ausgebaut werden könnte, sei die digitale Vermittlung. Nicht alle können nach Bornholm reisen – aber vielleicht könnten Debatten und Gespräche online leichter zugänglich gemacht werden?
Wenn der Juni näher rückt, wächst das organisatorische Zentrum des Folkemødet rasant. Es braucht Überblick – und die Fähigkeit, mit dem Unerwarteten umzugehen.
„Man kann viel planen – aber nicht alles“, sagt sie.
„Das Wichtigste ist ein starkes Team, das Herausforderungen meistern kann.“
Sie freut sich darauf, das Festival von innen zu erleben – und auf den Moment, wenn alles überstanden ist und sie gemeinsam mit ihren Kolleg:innen zurückblicken kann.
„Ich glaube, es wird ein Gefühl von Erschöpfung – und Stolz“, sagt sie.
Und hoffentlich auch ein Moment, in dem man gemeinsam zusammensitzt, sich in die Augen schaut und sagt:
„Wir haben es geschafft.“
Einer der zentralen Schwerpunkte von Signe Saabye Ottosen ist es, das Folkemødet zugänglicher zu machen.
Sie verweist auf Initiativen wie Ung Agenda – eine Zusammenarbeit zwischen Folkemødet und der Tuborg-Stiftung, die jungen Menschen eine günstigere Teilnahme ermöglicht – sowie auf Entwicklungsprojekte mit der BEVICA-Stiftung, die Menschen mit Behinderungen den Zugang erleichtern sollen.
Doch es gibt weiterhin Gruppen, für die der Weg nach Allinge eine Herausforderung darstellt – und genau hier will sie ansetzen.
Ein Problem, das sie anspricht, ist der zeitliche Versatz: Entscheidungsträger:innen, die beruflich am Folkemødet teilnehmen, reisen oft vor dem Wochenende ab. Viele Bürger:innen hingegen haben erst am Samstag Zeit, wenn sie frei haben.
„Wie stellen wir sicher, dass das Folkemødet nicht nur am Donnerstag und Freitag den Profis gehört, sondern allen – durchgehend?“, fragt sie rhetorisch.
Signe Saabye Ottosen geht ihre Aufgabe als Direktorin des Folkemødet mit Demut und Zielstrebigkeit an.
Sie weiß, dass nicht alle begeistert sind, wenn ihre kleine Stadt jeden Sommer von Politiker:innen und Debattierenden überrannt wird. Doch sie ist überzeugt: Die Gespräche, die in Allinge stattfinden, sind für die Demokratie essenziell.
„Das Wichtigste ist, dass wir weiterhin Räume für echte Gespräche schaffen“, sagt sie.
„Auch – und gerade – wenn wir nicht einer Meinung sind!“